Was ich von Tieren (und „ihren“ Menschen) – bisher – gelernt habe (I), oder: Wie gewinnt man als (Lebens-)Wissenschaftlerin Erkenntnisse?

Über Tiere „weiß“ man ja so einiges, das heißt, vieles gilt heute sogar als wissenschaftlich erwiesen: Über ihr Verhalten, ihre Kommunikationsformen, ihre artgerechte Haltung und Ernährung, die Ursachen und Behandlung ihrer Krankheiten und vieles mehr.

Ich persönlich habe mich lange Zeit gefragt, warum immer wieder mal etwas, das ich selbst in meinem langjährigen Zusammenleben und -arbeiten mit Tieren beobachtet oder auch über sie gehört und gelesen habe, nicht zu dem passt, was anscheinend viele andere Menschen „wissen“. Mittlerweile habe ich einige Erklärungen dafür, warum das so ist:

1) Jede wissenschaftliche Arbeit gründet auf einer Annahme, einer THESE oder THEORIE, für die unter reproduzierbaren, WISSENSCHAFTLICHEN (STANDARD-)BEDINGUNGEN Belege gesucht und gefunden werden müssen, damit sie als „bewiesen“ gilt. Eigentlich wird also nicht davon ausgegangen, dass die Ergebnisse auch unter anderen Bedingungen dieselben sind. Um z.B. etwas über das Verhalten von bestimmten Tierarten zu lernen, muss immer berücksichtigt werden, in welcher Situation genau das jeweilige Verhalten erforscht wurde.

2) Für die Beweiskraft einer wissenschaftlichen Studie genügt eine „statistische Wahrscheinlichkeit“, nicht etwa eine 100%ige Bestätigung der Annahmen. Ausnahmen, die leicht auf INDIVIDUELLE UNTERSCHIEDE zwischen den „Studienobjekten“ zurückzuführen sind, also hier Tieren, finden in Studien kaum Berücksichtigung.

Mir persönlich ist allerdings nicht wichtig, was NUR UNTER BESTIMMTEN BEDINGUNGEN, MEISTENS oder FÜR VIELE gilt – auch wenn Wissenschaftler/innen das herausgefunden haben – sondern was für ein Tier IM EINZELFALL wichtig und in seinem speziellen Leben praxistauglich ist!
Und das kann bei verschiedenen Individuen derselben Tierart sehr, sehr unterschiedlich sein; einfach dadurch, dass sie sich an unterschiedliche Lebensumstände angepasst haben und sehr unterschiedliche Erfahrungen in ihrem Leben machen!

3) Darüber hinaus beruht jede Theorie auf den Grundannahmen dessen, der/die sie aufstellt; das heißt dem, was der oder die betreffende Wissenschaftler/in VORHER z.B. schon gelesen, beobachtet und/oder im besten Fall selbst überprüft hat.

Deshalb unterscheiden sich vor allem die Grundannahmen unter Wissenschaftlern häufig enorm! Und ich habe immer wieder den Eindruck, dass viele nicht einmal bemerken, dass sie sich nicht über Forschungsergebnisse streiten, sondern „nur“ über die Erkenntnisse, die sie daraus ziehen, also ihre unterschiedliche Deutung (aufgrund ihrer Vorerfahrungen, ihres Vorwissens). Denn Daten oder sonstige Forschungsergebnisse sprechen nie für sich, sie müssen gedeutet werden, um daraus eine Erkenntnis zu gewinnen; und „blöderweise“ können unterschiedliche Grundannahmen einfach unterschiedliche Deutungen der Ergebnisse liefern.

Aber zurück zu den Tieren:
Entgegen der anscheinend weitverbreiteten Grundannahme, dass z.B. Hunde den Menschen „gefallen wollen“ (zumindest habe ich diese Formulierung schon sehr häufig gehört!), gehe ich persönlich davon aus, dass sie – wie vermutlich alle Lebewesen – möglichst wenig Stress mit uns Menschen oder anderen Tieren haben wollen, sich gut fühlen und Spaß haben möchten an dem, was sie tun.
Welche Grundannahme jetzt die „richtige“ ist oder ob sie beide ihre Berechtigung haben, darüber darf gerne gestritten werden – ich persönlich halte Zeit für zu wertvoll, um sie damit zu verschwenden. Ich orientiere mich lieber daran, ob mir etwas plausibel erscheint, und wenn nicht, ob und wie es überprüft und begründet wurde (Und wie bitte fragt man Hunde, ob sie etwas wirklich WOLLEN?).
Meine Grundannahmen beruhen auf biologischen Prinzipien; im Falle des Hundeverhaltens auf Ressourcenschonung, also möglichst wenig Energieverbrauch auf körperlicher und – in meinen Augen – auch psychischer Ebene.

Unser heutiges „Wissen“ ist nichts anderes als die Aneinanderreihung von (älteren) wissenschaftlichen Grundannahmen-Studien-Ergebnissen, neuen Grundannahmen-Studien-Ergebnissen usw.
Dadurch ist Wissensgewinn enorm anfällig für Missverständnisse, Auslassungen, einseitige Darstellungen u.ä. Und entweder bemerken das viele Wissenschaftler selbst nicht oder sie schaffen es, ihre Erklärungen für alle anderen Menschen absichtlich so unverständlich (aber plausibel klingend!) zu formulieren, dass die gar nicht auf die Idee kommen, diese zu hinterfragen.

Wenn zum Beispiel unsere Hündin Peppie nicht mit mir Gassi gehen mag, gebe ich mich nicht mit der nächstliegenden Begründung zufrieden „Sie hat halt keine Lust“, sondern ich frage weiter: „WARUM hat sie keine Lust?“ Ist es das Wetter (zu nass, zu kalt zu warm?), hat sie zu wenig Energie (schlechter Blutzuckerwert), hat sie Schmerzen (in ihren alten Knochen) oder hat sie vielleicht Angst (wenn direkt vor der Haustür schon „gefährliche“ Düfte anderer Hunde in der Luft liegen).
Denn dass ein Hund GENERELL nicht gerne ‘raus an die frische Luft gehen, erscheint MIR aus biologischer Sicht einfach nicht plausibel. Meine GRUNDANNAHME ist, dass er das gerne tut oder tun (würde), weil es ihm und seiner Gesundheit gut tut.
Peppie bestätigt diese, indem sie meistens doch noch Spaß an einer Schnüffelrunde draußen zu finden scheint – wenn ich vermutete Start-Hindernisse beseitige: sie massiere, ein Stückchen trage, mich bei der Begegnung mit anderen Hunden vor sie stelle (damit sie nicht in die Versuchung kommt, die Situation selbst regeln zu wollen/müssen), sie ermuntere (am besten funktioniert das bei ihr mit „Leckerlis“, wozu glücklicherweise auch Gemüsestückchen zählen!).

Für mich persönlich habe ich auch etwas gelernt: Ich möchte mich mit niemandem streiten, der/die meine Grundannahmen nicht teilen kann.
Als Wissenschaftlerin sehe ich es als meine Aufgabe, mir selbst und anderen immer wieder neu die Frage „Warum“ zu stellen, bis Fragen irgendwann zufriedenstellend beantwortet sind und sich Probleme damit lösen lassen.

Das führt mich immer wieder zu neuen Erkenntnissen über Tiere, die diesen hoffentlich irgendwie zu Gute kommen.
Dazu bald mehr!