Das Yin und Yang des Körperkontakts

Unsere Terrier-Hündin Peppie sucht in meinen Augen zwar insgesamt viel Blick-Nähe zu uns Menschen, ihren Rudelmitgliedern, aber eher selten längeren, direkten Körperkontakt. Ich habe keinen Vergleich zu anderen Hunden, weil ich sonst nur mit Katzen zusammengelebt habe (die sich oft überall und stundenlang gerne dazu gequetscht haben!); aber ich vermute, dass es bei Peppie unter anderem mit traumatischen Erfahrungen im Welpenalter zu tun hat, die sie nicht so leicht Vertrauen zu Menschen fassen lässt, zumindest nicht so viel, dass sie sich auch für längere Zeit entspannt neben sie legen könnte.
Sie schläft nachts generell in ihrem „Hundebett“ in unserem Schlafzimmer, verlangt aber vor allem morgens doch meistens Einlass in unsere große Version (seitdem sie nicht mehr selbst hineinspringen kann, wie sie es vorher einfach getan hat). Sie begnügt sich auch im Wohnbereich oft mit ihren „Kuschelkörbchen“, und wenn sie z.B. doch hoch zu uns auf die Couch möchte (sie bettelt nicht sehr deutlich, sondern stellt sich einfach demonstrativ davor), bleibt sie selten lange direkt neben uns liegen, sondern begibt sich auf die Decke, die dort am anderen Ende der Couch für sie platziert ist.
Da sich Peppie schon fast ein Jahrzehnt länger an Mathias als festen Teil ihres Rudels gewöhnen konnte, ist auch er immer noch die erste Wahl, wenn sie einmal einen Schlafplatz mit direktem Körperkontakt sucht; und da sie das sehr selten macht, vermuten wir, dass es ihr in diesen Momenten nicht besonders gut geht und sie jemanden zum Anlehnen braucht (vor allem, wenn ein schlechter Blutzuckerwert uns einen zusätzlichen Hinweis darauf liefert).

Von sexuellen Handlungen abgesehen, suchen die meisten Tiere direkten Körperkontakt zu anderen eher selten. Da sie zum Überleben auf ihre körperliche Unversehrtheit angewiesen sind, nähern sie sich möglichen Gefahrenquellen – auch in Form von Artgenossen – selbst oder besonders zur Paarungszeit eher vorsichtig, respektvoll, und lassen direkte Nähe vermutlich zu, wenn sie sich alleine bzw. schwach fühlen, wenn sie Halt oder Hilfe suchen, also beschützt werden wollen. Als „sozial“ bezeichnete Tierarten, zu denen auch wir Menschen gehören, Tiere also, die mehr oder weniger auf ein Leben in einer Gruppe, auf sozialen Halt, angewiesen sind, um in der Natur überleben zu können, scheinen liebevolle Berührungen sogar für ihr Überleben in der Kindheit zu brauchen: auch wenn z.B. die Waisenkinderversuche Friedrich II im Mittelalter nicht gesichert belegt sind, haben vor nicht allzu langer Zeit sowohl das Ärzteblatt als auch der Deutschlandfunk und GEO vermutlich nicht zum 1. Mal darüber berichtet. Dass auch erwachsene Menschen nicht nur für ihr seelisches Glück, sondern auch für ihre körperliche Gesundheit darauf angewiesen sind, daran besteht nicht nur für mich, sondern auch für Quarks im Westdeutschen Rundfunk kein Zweifel.
Als Gegenpart zur Suche nach Schutz nehmen Tiere, die eine Eltern-, Helferrolle oder Führungsposition übernommen haben, ihre „Schutzbefohlenen“ gerne in Schutz, nehmen sie „an die Hand“, um ihnen alles Überlebenswichtige beizubringen, gehen ihnen „zur Hand“, helfen also, wo sie noch Hilfe benötigen, oder nutzen bei Gefahr sogar ihren eigenen Körper als Schutzschild, um das Leben von Hilfsbedürftigen zu schützen.

In der Natur gilt es immer abzuwägen: Nehme ich die Gefahr des direkten Körperkontaktes zu anderen in Kauf, nehme ich in Kauf, dass sie mich leicht angreifen und verletzen können; möchte ich mich direkt ihren Bakterien und Viren aussetzen, die mich krank machen könnten, weil sie neu für mich sind?
Oder wiegen für mich die Vorteile des engen körperlichen Zusammenseins und -haltes mehr, z.B. gegen Kälte, gegen Angriffe anderer Gruppen von außen oder um mit gemeinsamen Körperkräften oder anderen -fähigkeiten etwas Größeres zu schaffen, als es mir alleine möglich wäre.

Einen gewissen, respektvollen Abstand zu anderen einzuhalten kann sicherer sein – direkter Körperkontakt war, ist und bleibt in der Natur und in unserer Zivilisation immer mit Risiken verbunden; aber viele Erfahrungen und Möglichkeiten können alleine nicht gemacht bzw. umgesetzt werden. Deshalb wählen z.B. wir Menschen sorgfältig aus, wem wir genug Vertrauen entgegen bringen, um uns ihm/ihr vielleicht schutzlos auszuliefern, und setzen – beruhend auf unseren Erfahrungen oder auch unserem Bauchgefühl – Grenzen, deren Überschreitung wir – genau wie jedes Tier – als persönlichen Angriff auffassen. Leider sind diese Grenzen unsichtbar, und ich bin heute sicher, dass ich in meinem bisherigen Leben schon mehr als eine überschritten habe, wenn ich fremde Menschen zur Begrüßung einfach umarmt habe. Für mich blieb das bisher ohne schlimme Folgen; vermutlich weil ich zu klein bin, um bedrohlich zu wirken, und weil bei Umarmungen normalerweise Glückshormone wie Oxytocin ausgeschüttet werden, die selbst negative Erfahrungen löschen (https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article130360396/Die-dunklen-Seiten-des-Kuschelhormons-Oxytocin.html), also vielleicht auch die Wirkung ausgeschütteter Stress-, also u.a. Angriffshormone neutralisieren können. Aber woher weiß ich, dass ich in meinem bisherigen Leben noch nie jemanden mit meinen körpereigenen Bakterien und Viren gefährdet habe – vielleicht auch weil er/sie selbst nicht einmal wusste, dass er/sie zu einer Risikogruppe gehört, und mich hätte vorwarnen können? Hat sich darüber bisher irgend jemand Gedanken gemacht? Sollen wir das aber ab von jetzt an bis in alle Zukunft immer tun? Oder dürfen wir endlich wieder selbstverantwortlich entscheiden, wem wir uns nähern möchten, wem wir erlauben möchten, uns zu berühren – weil wir bereit sind, die möglichen Konsequenzen zu tragen – und wem nicht?

Verantwortungsvolle Eltern oder – tierische wie menschliche – „Führungspersönlichkeiten“, bringen ihren Schutzbefohlenen in meinen Augen Eigenverantwortung bei; bringen ihnen bei, zu kommunizieren, zu sagen, was sie (erlauben) möchten und was nicht.
Die anderen, die ihren Schutzbefohlenen nicht vertrauen, ihnen keine Eigenverantwortung zutrauen, greifen auf feste Regeln und Verbote zurück, die unter Strafandrohung durchgesetzt werden…

Ich wünschte mal wieder, ich dürfte mich einfach so verhalten, wie es mir die Natur vormacht, wie es im Tierreich gang und gäbe ist; denn da begegnet mir täglich mehr Vertrauen und Verantwortung, von der nicht nur gesprochen, sondern die tatsächlich getragen wird, als unter Menschen…

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Dank für das Foto gebührt Mathias Csader, natur-highlights.de

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